Hallo! Beste Grüße aus der Volksrepublik China! Gestern habe ich endgültig die Staaten der ehemaligen Sowjetunion verlassen und befinde mich nun offiziell auf kommunistischem Boden. Ich schreibe aus Kaschgar, einer pulsierenden, sich rasant verändernden Handelsstadt am westlichen Rand der Taklamakanwüste. Ob aus Kirgisien, Pakistan oder Tadschikistan – jeden Reisenden führt der Weg zwangsläufig in diese ursprünglich uighurische Metropole. Schon vor zwei Jahren habe ich vom Karakorum Highway kommend diese Stadt besucht und anschließend die nördliche Seidenstraße bereist. Dieses Mal werde ich die südliche Route entlang der Wüste erkunden und mich aller Voraussicht nach Anfang September von Südostasien zurück nach Deutschland begeben.

Aber nun zu meiner Fahrt durch Tadschikistan. In Duschanbe erhalte ich nach einer Woche Wartezeit endlich mein Visum für China. Auch jenes für Kirgisien befindet sich in meinem zweiten Reisepass. Die abenteuerlichste Fahrt meiner bisherigen Radreisen kann beginnen! Ich folge kleinen Straßen um in die Hauptstadt der Pamirregion zu gelangen. Starke Regenfälle haben hier erst kürzlich enormen Schaden angerichtet und stellen mich vor große fahrerische Herausforderungen. Eine ganze Auffahrt zu einer Brücke ist weggespült worden, eine andere Brücke völlig zerstört, Straßen sind von Schlamm- und Kieslawinen schwer passierbar geworden und neben mir wagen sich hier nur große geländegängige LKWs aus der Sowjetära und allradgetriebene Fahrzeuge auf die Straße.

Ich durchquere unzählige große und kleine Flüsse. Ist das Wasser nicht allzu tief quere ich den Fluss meist diagonal in Fließrichtung, um der Strömung möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Die Ortliebtaschen geben ordentlich Auftrieb und so könnte das Rad anderenfalls leicht fortgerissen werden.

Manchmal ist die Strömung jedoch so reißend und das Wasser so tief, dass ich das gesamte Gepäck abladen muss und Stück für Stück durch den Strom trage. Dabei ist mir besonders bei der Lenkertasche mit all den Wertsachen bange zumute. Durch die Wellen oder durch schlammiges Wasser sehe ich nicht wohin ich meinen Fuß setze und wie tief das Wasser nach dem nächsten Schritt sein wird, zumal ich notgedrungen Schuhe und Socken ausgezogen habe, denn in dem kalten Bergklima würden diese kaum trocknen. Einmal stehe ich bis zum Oberschenkel im eiskalten Fluss, die Taschen balancierend und mit aller Kraft versuchend, durch Strömung und felsigen Untergrund nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Meine Ausrüstung ist zwar Regendicht verpackt, aber keinesfalls tauchdicht. Schließlich ist jedoch jede Durchquerung erfolgreich gewesen und keine Teile der Ausrüstung wurden besonders nass.

Auch wenn einmal kein Wasser meinen Weg behindert hat, habe ich nie so viele Strecken schieben müssen wie hier in der Pamirregion. Ein Pass von Khovaling nach Tavildara hat es besonders in sich. Drei Tage folge ich Tälern und Flussläufen, um nun vor einem scheinbar unpassierbaren Weg zu stehen. Schon lange ist mir kein Fahrzeug mehr begegnet, was mich etwas stutzig macht. Nach einer Erzmiene steigt der Weg, eigentlich müsste man sagen die Schutthalde, brutal steil an. Radfahren ist hier unmöglich. Zwar ist die Straße breit genug für einen Geländewagen, doch so extrem steil und über und über übersät mit bis zu kinderkopfgroßen, losen Kieselsteinen, dass die einzige Person die ich hier antreffe ein Reiter mit seinem Esel ist, der wissend lächelnd an mir vorbeizieht. Ich stehe vor der Entscheidung entweder den dreitägigen Rückweg anzutreten oder zu Fuß die Überquerung zu wagen. Angesichts der Strapazen der letzten Tage, die ich eigentlich nicht ein zweites Mal durchleben möchte, entscheide ich mich für Letzteres. Doch schon nach wenigen Metern befürchte ich hier mein persönliches Waterloo zu erleben. Nur schleichend langsam komme ich vorwärts. Der Pass ist eine scheinbare Ewigkeit von mir entfernt. Wie eine Wand steht der Gebirgszug vor mir. Nur an die nächsten Meter denkend suche ich zunächst sicheren Halt für meine Schuhe, denn diese müssen nicht nur mein Gewicht halten, sondern stützen auch das Gesamte Gewicht des Rades ab. Dann schiebe ich das Rad ein Stückchen weiter nach oben und ziehe beide Bremsen an. Einen Schritt weiter suche ich erneut festen Halt, löse die Bremsen und schiebe mein Rad wieder einen Schritt weiter. So lege ich Schritt für Schritt, Meter für Meter zurück. Äußerste Konzentration ist notwendig, um nicht mit samt Rad auf dem losen Grund abzurutschen. Zur Steigerung meiner Laune zieht nun auch noch ein Gewitter auf und neben heftigem Wind sorgt Eisregen für ein kühles Klima.

Durch die letzen Wochen sind meine Beinmuskeln zwar bestens trainiert und stecken die extreme Beanspruchung ganz gut weg, jedoch sind meine Arme nicht auf solch eine Belastung vorbereitet. Immer wieder verharre ich für ein paar Minuten am steilen Hang um Kraft für die nächsten Meter zu sammeln. Trotzdem fehlt mir irgendwann die Kraft das Rad weiterzuschieben. Ich überlege: „Umkehren? Weitermachen? Wie gefährlich ist es hier abzurutschen? Komme ich überhaupt wieder in eine aufrechte Position, wenn mir das Rad wegrutscht? Wird der Weg eventuell noch schlechter? Besser? Ist das leichtsinnig was ich hier tue?“

Um jeweils unterschiedliche Muskelgruppen zu beteiligen, versuche ich verschieden Zieh- und Schiebetechniken. Das Ganze betrachte ich schließlich einfach als eine Herausforderung meiner Geduld und meines Durchhaltevermögens. Mit diesen Gedanken, völlig entkräftet und nach drei Stunden härtester Arbeit erreiche ich endlich erleichtert den Pass.

Die nun folgende ‚Abfahrt‘ ist leider genauso brutal. Im Schritttempo, mit angezogenen Bremsen rutsche ich talabwärts, oft das linke oder rechte Bein ausstreckend, um mein Rad zu stabilisieren. Auch hier benötige ich viel Zeit und reichlich Geduld. Immer wieder pausiere ich, damit meine Hände vom heftigen Anziehen der Bremse nicht verkrampfen. Unterwegs bricht mir eine Gepäckträgerbefestigungsschraube. Ein großer Stein verfängt sich während der Abfahrt zwischen Schutzblech und Vorderrad und zerreißt die Aufhängung. Etwas Improvisation behebt die Probleme jedoch schnell. Endlich, es ist schon fast dunkel, erreiche ich die Hauptstraße. Ich bin sehr glücklich, wohlauf und ohne größere Materialschäden wieder fahrbaren Untergrund unter meinen Rädern zu haben. Der Polizist am Checkpoint fragt verwundert drei Mal nach, ob ich wirklich von dort oben komme, lächelnd bejahe ich, mit dem Gefühl, dass der Polizist seinen Augen nicht ganz zu trauen scheint.

Weiter geht es auf Lehmpisten. Der Verkehr hat nun eine beruhigende Wirkung auf mich. Einige Tage folge ich der afghanischen Grenze, die sich einfach auf der anderen Seite des Flusses, der später theoretisch in den Aralsee mündet, befindet. Kleine Siedlungen aus Lehmziegelbauten mit winzigen Ackerflächen prägen das Bild. Langsam schraubt sich der Fluss in die Höhe. die Hauptstraße biegt bald in das Landesinnere ab, und ich beginne eine Radexpedition in eines der entlegensten Gebiete Tadschikistans. Im letzten Dorf belade ich mein Rad noch einmal mit Proviant. Es gibt in den kleinen Läden keine große Auswahl. Hier sind die Menschen fast völlige Selbstversorger. Noch nicht einmal Brot kann ich kaufen – jede Familie bäckt hier selbst. So kaufe ich eben zweieinhalb Kilo Nudeln und ebenfalls zweieinhalb Kilo Kekse in verschiedenen Sorten. Glücklicherweise habe ich noch eine Packung Haferflocken und auch einen Beutel Rosinen als Frühstücksalternative dabei. Auf Nachfrage bekomme ich nun doch noch ein Brot aus dem privaten Haushalt der Verkäuferin – ein Geschenk des Hauses.

Nachdem ich zwei Militärcheckpoints dank einer Sondergenehmigung problemlos passieren durfte, beginnt die Fahrt in einen zumindest auf der Landkarte existierenden Nationalpark. Die Straße besteht nur noch aus Fahrspuren. Brücken kann ich hier wirklich nicht erwarten, und so steht auch bald schon die nächste Flussdurchquerung an. Langsam ändert sich die Landschaft. Das enge zerklüftete Tal öffnet sich. Mein Blick weitet sich, die Gegend wird ebener. Durch die Höhe gibt es hier keine Bäume mehr. Es wird trockener. Ich befinde mich nun auf über 4000 Metern über Null. Das Klima ist hier in der Ebene fast wüstenhaft, durch die umliegenden Gebirgszüge jedoch recht kühl. Tagelang begegnet mir kein Fahrzeug mehr. Nur ab und an komme ich an einer Unterkunft von Jägern und Hirten vorbei. Diese Begegnungen sind meist sehr herzliche, und nicht selten werde ich zu Tee und Essen eingeladen. Das sind willkommene Abwechslungen zu meinem regulären Speiseplan. Einmal gibt es Reis mit sehr leckerem Marco-Polo Schaf. Diese extrem seltenen Tiere bekomme ich lebend leider nicht zu Gesicht. Nur die massiven, fast kreisrund gebogenen Hörner und Gerippe am Wegesrand deuten auf deren Existenz hier hin.

Auf manchmal kaum sichtbaren Fahrspuren folge ich weiter der afghanischen Grenze. Ich gelange nun in das Goldene Dreieck, eine fast menschenleere Grenzregion zwischen China, Pakistan, Afghanistan und Tadschikistan. Es muss in den letzten Tagen geregnet haben. Der lehmige Untergrund ist weich und zäh, meine Reifen bleiben regelrecht auf dem Weg kleben. Nur langsam komme ich vorwärts und wieder übe ich mich in Geduld. Auch hat der Regen sichtbare Reifenspuren fortgewaschen. Manchmal bin ich mir unsicher ob ich weiterhin der richtigen Spur folge und manchmal verliere ich Diese sogar völlig. Hier gibt es so gut wie keinen Verkehr und so wächst selbst auf den Fahrspuren Gras. Dank meiner guten, fast topographischen Karte orientiere ich mich anhand von markanten Gebirgszügen, Flüssen oder Höhenlinien. Das Rad schiebe oder fahre ich dann quer durch das Gelände, bis ich wieder auf sichtbare Spuren treffe. Eines ist sicher: Bei einer nächsten Tour unter solchen Umständen wird mich ein GPS-Gerät begleiten und für einwandfreie Navigation sorgen.

Die gesamte andere Ausrüstung erweist sich hier als sehr nützlich. Jeden Morgen suche ich mir einen klaren Gebirgsbach und filtere mein Trinkwasser. Das ist auch in der Höhe notwendig, denn auch hier existieren noch ab und an Viehherden oder wild lebende Tiere, die gefährliche Erreger in das Wasser übertragen können. Auch bin ich glücklich über die mir von Roeckl freundlicherweise zur Verfügung gestellten warmen Handschuhe. Eines Morgens baue ich mein Zelt bei minus sechs Grad ab, die Ränder der Flussläufe sind noch vormittags gefroren. Kaffee brauche ich hier nicht, nach der ersten Flussdurchquerung bin ich hellwach! Auch mögen Viele meinen Schlafsack für diese Tour für übertrieben halten, aber während der gesamten Zeit auf über 4000m ist er bitter nötig gewesen. Gefroren habe ich nachts nie.

Mit einem knapp 4700m hohen Pass auf dem Weg nach Kirgisien erreiche ich vorläufig den höchsten Punkt meiner Reise. Da ich aufgrund der politischen Lage nicht länger als nötig in Kirgisien bleiben möchte und in den letzten Wochen keine Möglichkeit hatte, mich über aktuelle Ereignisse dort zu informieren lege ich die Strecke von der tadschikischen zur chinesischen Grenze innerhalb eines Tages zurück.

Nun bin ich sehr gespannt auf die Taklamakanwüste, die ich vor zwei Jahren kurz vor Wintereinbruch bei mäßiger Kälte kennen gelernt habe. Ich hoffe jetzt im Juli wird sie nicht zu heiß sein.

Ich verabschiede mich, wieder mit einigen Eindrücken der letzten Wochen
Bis bald!

Jens


Frühstück in Dushanbe

 

 

Kleines Dorf auf dem Weg ins Pamirgebirge

 

 

Noch befinde ich mich ’nur‘ auf 1000m über Null – die vielen kleinen Berge sind bei 40°C recht schweißtreibend

 

 

Zumal ich oft auf Kies und Schotter die steileren Stücke bewältige

 

 

manchmal ist der Untergrunud so lose, dass ich schieben muss…

 

 

Geschafft! Nach drei Stunden härtester Arbeit erreiche ich meinen bisher schwierigsten Pass

 

 

Und wieder eine Flussdurchquerung…

 

 

Relikte aus weniger friedlichen Zeiten

 

 

Auch sehe ich machnmal Hinweise auf durch NGOs von Landmienen befreite Zonen

 

 

Ein weiterer Pass – diesmal ganz bequem und ohne Schwierigkeiten zu fahren

 

 

Blick nach Afghanistan – manchmal trennen mich nur 50m von der Grenze

 

 

Rechts Tadschikistan – links Afghanistan

 

 

Um Straßen von Erdrutschen zu säubern besitz jeder Landkreis zwei Bulldozer – hier ein etwas älteres Modell

 

 

Ich folge weiterhin dem Grenzfluss zu Afghanistan – oft auf Schotterpisten

 

 

Langsam gelange ich in höhere Lagen und die Landschaft weitet sich

 

 

Auf Fahrspuren durch die entlegensten Gebiete Tadschikistans

 

 

Immer wieder quere ich Flüsse und Bäche – das wird fast zur Routine

 

 

Der ZorKul-See von Ferne – Wolken und Sonne liefern sich entlang der Gebirgszüge wunderschöne Lichtspiele

 

 

Noch sind die Fahrspuren gut erkennbar

 

 

Wieder ein schöner Gebirgssee

 

 

Mein Schlafplatz für diese Nacht – hier in den Hochebenen kommt auch nachts manchmal wahnsinnig starker Wind auf, daher baue ich vorsichtshalber jeden Abend die komplette Sturmabspannung auf

 

 

Morgens sind die Bäche meist noch gefroren

 

 

Eine Hirtenfamilie lädt mich zum (zweiten) Frühstück ein und schenkt mir anschließend noch einige Ballen getrockneten ziemlich säuerlichen Käse – nicht so mein Fall, aber ein hervorragender Proteinlieferant

 

 

Hier ist das Klima schon fast wüstenhaft

 

 

Überall am Wegesrand finden sich die Hörner der gern gejagten Marco-Polo Schafe

 

 

Die Fahrspuren werden immer undeutlicher

 

 

Um diesen Weg über den Bergrücken zu finden habe ich mein Rad eine weite Strecke querfeldein geschoben – der See diente als Orientierungshilfe und ich bin wirklich froh gewesen, als ich ihn endliich gefunden hatte

 

 

Die Sonne auf über 4000m ist wahnsinnig stark, die Luft extrem trocken, so springen mir andauernd die Lippen auf – unangenehm…

 

 

Einige verlassene Gebäude – vielleicht werden diese von Hirten nur saisonal bezogen

 

 

Auf dem Weg nach Kirgisien – nur noch einige hundert Kilometer, dann erreiche ich China!

 

 

6 Kommentare

  1. Jens hat heut Geburtstag, kommt und singt jetzt alle mit! Wünscht Gesundheit und viel Glück! Jens hat heut Geburtstag!
    Herzlichen Glückwunsch lieber kleiner Bruder. Wünsche dir noch eine tolle restliche Reise! Und hoffe du kommst gesund wieder zurück nach Hause.
    Ganz liebe Grüße

    Deine Verena

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