In Ayacucho standen wir vor der Entscheidung: Fahren wir direkt zur Küste, verlassen die Anden und erreichen Lima zügig über die Panamericana an der Küste (Steinwüste)? Oder nehmen wir lieber die fast ebenso lange Carretera Central (570 Km), die weiterhin durch die hohen Berge führt? Bei zweiterer Option wäre deutlich weniger Verkehr zu erwarten, die Landschaft wäre vielseitiger, dafür wären aber deutlich mehr Höhenmeter zurückzulegen und die Gefahr bestünde, dass wir Lima aus zeitlichen Gründen nicht mehr aus eigener Kraft erreichen. Hinzu kam noch, dass Livia erkrankte und wir länger in Ayacucho verweilen mussten als geplant.
Als es Livi schließlich wieder besser ging fällten wir nach vielem Überlegen die Entscheidung: Die Abenteuerfreude und die Lust auf eine letzte knackige Herausforderung hatten uns gepackt: Wir versuchen es! Los geht’s – einmal mehr auf in die Berge! Carretera Central – wir kommen!

 

 

Die abenteuerlichste Strecke ist der Weg zwischen Huanta und dem Pass vor Huancayo (3900 m). Über eine Distanz von 150 Km folgt die Straße 3S dem tief eingeschnittenen Tal des Rio Mantaro. Teilweise erinnerte mich die Streckenführung an den Karakorum Highway in Pakistan: Es gibt nur eine Fahrspur (!), ab und an Ausweichstellen, der Straßenbelag ist sehr schlecht, oft gibt es durch Erdrutsche bedingt Schotterpassagen und der Weg windet sich teils auf haarsträubende Weise am steilen Berghang entlang, teils hunderte Meter über dem eigentlichen Flussniveau!

 

 

Manchmal blieb uns fast das Herz stehen! Gerade dann, wenn sich zwei 40Tonner begegneten, auf einem Weg, kaum breiter als der Elberadweg! Etwas Mut verlangten auch die Passagen, bei denen das Gelände gleich neben der Straße senkrecht in die Tiefe stürzte. Hinzu kamen immer wieder Stellen, an denen der Asphalt wegbröselte und Teile der Straße schon den Abgrund hinuntergerutscht waren. Im Bild: Der einspurige in den Fels gehackte Weg mit großem rotem LKW in der Fotomitte.

 

 

Wir waren froh darüber, dass wir meist bergseitig fahren konnten und die Seite mit dem Abgrund dem entgegenkommendem Verkehr vorbehalten war. Generell ist die Strecke überaus Kurvenreich, daher benutzt motorisierter Verkehr das Horn in sehr starkem Umfang. So waren wir stets vorgewarnt, wenn ein Lastwagen vorhatte um die Ecke zu biegen. Wir suchten dann schnell eine Ausweichstelle oder schmiegten uns an die Felswand. Extreme Steigungen und der schlechte Straßenbelag sorgten für eine Durchschnittsgeschwindigkeit weit unter 10 Km/h.

 

 

Der meandrierende Rio Mantaro. Die Temperaturen sind hier sehr hoch, perfektes Klima also für Sandfliegen. Bei Besichtigung des Tals ist unbedingt auf genügend große Reserven an Mückenschutzmittel zu achten! Ortschaften und Läden gibt es nämlich nicht wirklich viele.

 

 

Wie oft wünschten wir uns, doch einfach durch das Tal neben dem Fluss fahren zu können! Wahrscheinlich wurde die Straße jedoch am Hang eingerichtet, um nicht das wenige fruchtbare Land weiter zu dezimieren.

 

 

Fast geschafft! Ab der Brücke bei Izuchaca geht es entspannter zu. Der Verkehr wird wieder stärker und hinter dem Pass auf knapp 3900 m erwartet uns die Großstadt Huancayo. Damit wir rechtzeitig unseren Flug erreichen können wir uns dort nur einen halben Pausentag leisten. Das heißt: Mittags ankommen, ins beste Hotel der Stadt einchecken, schnell die Wäsche zur Wäscherei, Proviant einkaufen und am nächsten Mittag (wenn die Wäsche fertig ist) weiterfahren.

 

 

Mal wieder ein Zeltfoto. Aufgrund der vielen Kakteen eignen sich Parkplätze, Bauplätze, Steinbrüche und ähnliches am besten zum Zelten. Mittlerweile sind uns schon so viele Hilleberg-Aluminium-Heringe durch Abbrechen der Köpfe abhandengekommen, so dass ich Ersatz besorgen musste. Jetzt haben wir 8 unzerstörbare große lange Stahlnägel. Die gehen überall rein – und brechen nicht!

 

 

Wenn Magdalena nicht umherläuft und Dinge von A nach B und wieder zurück bringt oder auf der Jagd nach Socken ist, galoppiert sie auf dem zusammengepackten Zelt – alternativ auf der Schlafsackrolle…

 

 

Ab und an treffen wir andere Radler, doch längst nicht so häufig wie auf der Fahrradautobahn Carretera Austral in Chile. Hier ein Schweizer auf mehrjähriger Tour mit einem kolumbianischen Radler. Ziel (na klar!): Ushuaia!

 

 

Weiter, weiter, auf nach Lima! Ein letzter Pass liegt vor uns. Aber was für einer! Bis auf über 4800 m müssen wir klettern! Auf dieser Höhe war ich noch nie! Es geht durch das metallurgische Zentrum Perus. Hier reiht sich eine Miene an die andere. In der Umgebung von La Oroya werden unter anderem Blei, Kupfer, Zink, Gold und Silber abgebaut. Wir nächtigen in der Stadt, die das Blacksmith Institute 2006 und 2007 für einen der zehn meist verschmutzen Orte der Welt kürte! Es sah dort eigentlich aus wie in jedem anderen peruanischen Ort, aber laut einer Studie der Universität San Luis im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation hatten 7 von 10 untersuchten Kindern 20 bis 40 µg Blei pro Deziliter im Blut! Dadurch, dass unser MSR Filter eine völlige Fehlkonstruktion ist (Näheres dazu ein anderes Mal), müssen wir unser Trinkwasser seit geraumer Zeit eh in Flaschen kaufen.

 

 

Hier verlassen wir den Bergarbeiterort la Oroya (3900 m). Noch 1000 Höhenmeter zum Pass – aufgeteilt auf 45 Km. Ist also recht entspannt zu fahren, solang man gut akklimatisiert ist, was wir von uns bei fast drei Monaten Aufenthalt in den Anden guten Gewissens behaupten können.

 

 

Wir steigen auf 4500 m auf und Zelten mit Blick auf den Letzen Bergkamm, den es zu erklimmen gilt. Es wird gar nicht so kalt nachts (- 6°C) und unsere Taktik geht auf: Am nächsten Tag erreichen wir genau zu Mittag den höchsten Punkt. So ist es da oben nicht ganz so eisig, und auch die Abfahrt wird angenehmer bei nachmittäglichem Sonnenschein.

 

 

Geschafft! Wir erreichen den höchsten Punkt unserer Reise! So schnell werden wir in naher Zukunft diese Höhe mit den Rädern nicht mehr erklimmen. Nun geht es auf einer Distanz von 140 Km steil bergab: 4800 m downhill! Leider ist der Verkehr sehr stark und die Straße etwas zu eng für die vielen Lastwagen. Es macht trotzdem Spaß, zudem wir wissen, dass wir unser Ziel Lima höchstwahrscheinlich auf zwei Rädern erreichen werden. Die letzte große sportliche Herausforderung ist gemeistert!

 

 

Magdalena wirkt hier oben etwas platt. Das mag daran liegen, dass sie gerade erst aufgewacht ist, oder die geringe Sauerstoffkonzentration taugt ihr nicht so. Also schnell auf die Räder und hinab! Je tiefer, desto wärmer!

 

 

Wir düsen zwei Tage, dann haben wir Lima erreicht. Hier wird es noch einmal etwas anstrengender, allerdings wegen des Großstadtverkehrs. Wir fahren Autobahn durch die Stadt, bis uns das zu heikel wird, denn immer mal wieder fehlt der Seitenstreifen und dann ist es kein Vergnügen mehr. Die letzten 13 Km legen wir auf normalen Straßen zurück. Gut dass wir mit GPS navigieren können, und nicht auf Papierkarten angewiesen waren. Nun befinden wir uns in Callao, 20 Minuten zu Fuß zum Flughafen von Lima. Am 17. Juli heben wir ab – die große Reise ist beendet! Was für eine Tour! Wir sind sehr glücklich, dass wir so gut wie unfallfrei geblieben sind, dass wir alle aufgetretenen Krankheiten erfolgreich behandeln konnten und so wahnsinnig viel erleben durften! Nun warten viele neue Herausforderungen auf uns und unsere Kinder. Wir sind gespannt, freuen uns auf die vor uns liegenden Aufgaben. Und: Das nächste Abenteuer kommt mit Sicherheit!

Bis bald,

emmy, Livia, Magdalena & Jens

 

 

 

 

2 Kommentare

  1. Was für ein Abenteuer !

    Vielen Dank für eure tollen Fotos und Berichte, die uns so manche Stunde versüßt und zum Träumen angeregt haben.
    Schon Wahnsinn was ihr für eine Tour gemeistert habt und das mit zwei kleinen Kindern, Hut ab und Applaus.
    Wenn ihr dies lest seid ihr sicher bereits zurück im Elbflorenz daher auch schon mal ein Willkommen daheim.

    Viele Grüße aus Spreeathen und wir sind schon gespannt wann und wo euch euer nächstes Abenteuer hin verschlagen wird.

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